Gemeinsam neuen
Psychische Krisen sind keine Einbahnstraße
Bereichsleiterin Ursula Luschnig weiß: „Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre zeigen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. In den Gesprächen spiegelten sich fast immer diese äußeren Krisen wider: Es ging um Existenzängste, Ängste vor der Klimakrise und aufgrund des Krieges in der Ukraine und Zukunftsängste allgemein. Aber auch Themen wie Scheidung oder Trennung, Erziehungsfragen, Suchtthemen, die eigenen Erkrankungen oder der Umgang mit der Erkrankung eines nahestehenden Menschen spielten immer wieder eine zentrale Rolle. Vermehrt erreichten uns im letzten Jahr auch Anrufe verzweifelter Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder unterstützen können. Denn viele leiden nun an Depressionen, Ängsten, Essstörungen und kommen mit dem Stress in der Schule nicht zurecht.“
„Aber psychische Krisen sind keine Einbahnstraßen. Wir erfahren in unserem täglichen Tun, dass scheinbar ausweglose Situationen mit Beratungsgesprächen überwunden werden können. Eine schöne Erfolgsgeschichte ist jene eines Mannes, der eine Angst gegenüber Drehtüren entwickelt hatte und deshalb solche Gebäude nicht mehr betreten konnte, weil die Angst zu groß war, nicht mehr aus ihnen herauszukommen. Als er zu seinem ersten Gespräch in die Beratungsstelle kam, war seine Frau schwanger und er konnte sie nicht ins Krankenhaus begleiten, weil er dieses nur durch eine Drehtür betreten konnte. Auch Einkäufe in größeren Geschäften waren kaum möglich. In mehreren Gesprächsterminen entwickelten wir gemeinsam mit ihm Wege, wie er mit dieser Angst umgehen konnte. Nur dadurch war es ihm möglich, bei der Geburt seines Kindes anwesend zu sein.“
Wir stärken Familienbande
Eine Schwangerschaft bedeutet für werdende Eltern neun außergewöhnliche Monate. Die Zeit vor und nach der Geburt eines Kindes wirft aber auch viele Fragen auf. Im neuen Eltern-Kind-Pass soll deshalb als Unterstützung für werdende Eltern eine kostenlose Elternberatung eingeführt werden. Unsere Lebensberatung startete letztes Jahr bereits in einem Pilotprojekt damit. Dabei erhielten schwangere Frauen und Eltern mit Kleinkindern eine kompetente Beratung in einer Zeit, in der viele Weichen für das ganze Leben gestellt werden.
Der Alkohol und seine Gefahren
Alkohol ist ein stark unterschätztes Problem in Österreich: Nicht wer mittrinkt, gilt als Außenseiter*in, sondern der- oder diejenige, der oder die dankend ablehnt. Um über Alkohol, seine Gefahren und seine Stellung in der Gesellschaft aufzuklären, gibt es die „Dialogwoche Alkohol“, die alle zwei Jahre stattfindet. Auch unsere Suchtberatung beteiligte sich an der Aktion. Denn: Die vielen Krisen der vergangenen Jahre haben die Menschen schwer belastet. Das Risiko, an einer Alkoholabhängigkeit zu erkranken, ist in herausfordernden Zeiten noch einmal erhöht. Gerade die Corona-Pandemie löste bei unseren Klient*innen eine Menge Stress, Emotionen sowie Unsicherheiten aus und führte in der Folge nicht selten auch bei langjährig abstinent lebenden Menschen zu Rückfällen.
25 Jahre amtlicher Notruf für die Seele
Selten verläuft das Leben geradlinig und ohne Stolpersteine. Viel wahrscheinlicher sind kleinere oder größere Belastungen bis hin zu schweren (suizidalen) Krisen. Dann tut es gut, mit einer neutralen, professionell ausgebildeten Person zu sprechen bzw. zu chatten – und das ohne Terminvereinbarung, ohne lange Wartezeiten und ohne die eigenen vier Wände verlassen zu müssen. Dies ist seit fast 50 Jahren mittels Telefonseelsorge möglich. Seit 25 Jahren hat diese sogar den amtlichen Notrufstatus. Dadurch können Anrufende den Dienst der Telefonseelsorge von jedem Telefon aus kostenlos in Anspruch nehmen.
Und diese Gespräche können lebensverändernd sein, wie diese Geschichte einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin zeigt: „Vor zehn Jahren fühlte es sich so an, als würde ich einem großen schwarzen Loch stecken. Es war kurz nach 2 Uhr nachts, als ich meinen ganzen Mut zusammennahm und 142 wählte. Ich hatte zuvor noch nie dort angerufen, wusste aber, dass man sich an die Nummer wenden kann, wenn es einem nicht gut geht. Ein älterer Herr hob ab und nahm sich Zeit für mich. Ich durfte ihm meine Geschichte erzählen. Über eine Stunde ging unser Gespräch und ich kann heute sagen: dieses Telefonat war lebensverändernd für mich. Das, was dieser Herr mir mit auf meinem Lebensweg gab, hat mein Leben nicht nur bereichert, sondern auch positiv beeinflusst. Einige Jahre später beschloss ich, mich selbst bei der Telefonseelsorge zu bewerben, um ein Stück weit das zurückgeben zu können, was dieser Herr mir damals mitgab. Nun bin ich seit fast fünf Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin und darf selbst hinter dem Hörer sitzen und Menschen mein ‚hörendes Ohr‘ schenken.“