Äußere Krisen werden zu "inneren"
Gefühlt schlittern wir seit drei Jahren von einer Krise in die nächste. Deshalb war auch das Jahr 2022 für viele Menschen sehr herausfordernd, weiß unsere Bereichsleiterin Ursula Luschnig: „Wir verzeichnen sowohl einen Anstieg an Klient*innen als auch bei den Beratungen und Psychotherapien. In den Gesprächen spiegeln sich fast immer die äußeren Krisen wider: Es geht um Existenzängste, Ängste zur Klimakrise und Zukunftsängste. Aber auch Themen wie Scheidung oder Trennung, Erziehungsfragen, Suchtthemen, die eigenen Erkrankungen oder der Umgang mit der Erkrankung eines nahestehenden Menschen spielen immer wieder eine zentrale Rolle.“
„Um möglichst früh Burschen und jungen erwachsenen Männern in psychischen Krisen zur Seite stehen zu können, gibt es seit Mai unsere gewaltpräventive Burschenarbeit. Diese bietet einerseits Workshops an Schulen als auch Beratung an. Zudem haben wir unsere Männerberatung auf die Bezirke Spittal an der Drau, St. Veit an der Glan und Wolfsberg ausgeweitet. Und: Trotz unserer kontinuierlichen Bemühungen, mehr Beratungsplätze in unseren verschiedenen Stellen zu schaffen, warten derzeit 400 Menschen auf einen Beratungs- oder Psychotherapieplatz.
Eine wichtige Entwicklung ist auch die Schaffung einer Gewaltschutz-Stelle innerhalb der Caritas Kärnten. Ziel unserer Gewaltschutzbeauftragten ist es nun, in unserer Organsiation eine Meldestelle für gewaltschutzrelevante Themen einzurichten und den Gewaltschutz weiterzuentwickeln.“
Weil Corona nicht nur finanzielle Not hinterlässt
Noch immer machen die Folgen der Corona-Pandemie den Menschen schwer zu schaffen. – Auch den jungen. Vermehrt erreichten uns im letzten Jahr Anrufe verzweifelter Eltern, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder unterstützen können. Denn viele leiden nun an Depressionen, Ängsten, Essstörungen und kommen mit dem Stress in der Schule nicht zurecht. Mit kostenloser, psychosozialer Beratung unterstützen unsere Beratungsstellen die Eltern, um negative Folgen für die Entwicklung der Heranwachsenden sowie für die Familiendynamiken abzufedern oder im Idealfall sogar zu vermeiden.
Die Erkenntnis der Eltern, ihren Kindern ein wertfreies Zuhören ermöglichen zu wollen, und die gemeinsame Erarbeitung von Strategien zum Entkommen aus der Krise, sind ein wichtiger Teil der Gespräche. Die Eltern erfahren in diesen geichzeitig einen achtsameren Umgang mit sich selbst. Den Kindern wiederum hilft es oft schon, wenn sie ihre Ängste bei einer neutralen, nicht betroffenen Person ansprechen und mit ihr Wege in die Zukunft suchen können: „Ich freue mich jedes Mal, dass ich zu Ihnen kommen darf und hier alles Platz hat, was mich beschäftigt,“ sagt eine 25-jährige junge Frau. Schleichend wurde ihr alles zu viel. „Das Gefühl, dass ich allen zu viel werde, wurde immer stärker. Gemeinsam mit meiner Beraterin konnte ich wieder Zuversicht finden und die notwendigen Schritte zur Veränderung setzen.“
Der Krieg ließ niemanden kalt
Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine wurde nicht nur die Welt für Erwachsene eine andere. Auch Kinder und Jugendliche spürten die wachsende Unsicherheit und Angst, die mit dem Thema einhergehen. Krieg hier in Europa, nur 425 Kilometer von Wien entfernt. Die Medien und Social Media-Kanäle waren und sind noch immer voll damit: Sirenen heulen, Raketen schlagen ein, die Ukraine steht unter Beschuss, Menschen erfahren unfassbares Leid, viele müssen ihr Leben lassen – Geschehnisse, die für Kinder und Jugendliche noch einmal schwerer einzuordnen sind als für Erwachsene.
Wir empfahlen gleich zu Beginn, mit Kindern und Jugendlichen über den Krieg zu sprechen und boten in Kärnten in unseren sechs Lebensberatungsstellen gezielt Unterstützung für Eltern und junge Menschen an. Denn: Die Situation verunsicherte und bedrückte Kinder und Jugendliche zutiefst. Seit zwei Jahren mussten wir schon mit der Pandemie leben. Damit verbunden, ist es in vielen Familien zu Überforderung, Schul- und Ausbildungsdruck, Depressionen und eben Ängsten gekommen. Jetzt kam auch noch der Krieg in unserer unmittelbaren Nähe dazu. Das war und ist eine enorm große Belastung für junge Menschen.
Fenster zur Welt
Vor mehr als 45 Jahren – am 24. Oktober 1977 – läutete das Telefon der Telefonseelsorge in Kärnten zum ersten Mal. Seither ist viel passiert: Statt der Haustelefone gibt es fast nur noch Handys, und in der Telefonseelsorge hat ein zusätzliches E-Mail- und Chat-Angebot die Hemmschwelle weiter gesenkt. Doch Auftrag und Ziel sind gleichgeblieben: Das Team der Telefonseelsorge ist für alle Menschen da, denen der Druck zu groß wird. Die Gründe zum Reden reichen von Krisen im Zusammenhang mit (psychischer) Krankheit, Einsamkeit und Beziehungsproblemen bis hin zu Jobverlust und finanziellen Notsituationen.
Immer mehr Familien brauchen Hilfe
Die multiplen Krisen machen den Menschen schwer zu schaffen. Auch in Kärnten. Um sich ein Bild von der Situation im südlichsten Bundesland zu machen und zu erfahren, wie es unseren Einrichtungen nach Erhöhung der Förderung geht, besuchte Familienministerin Susanne Raab unsere Familien- und Lebensberatungsstelle in Klagenfurt. Die Bundespolitikerin erwies sich als interessierte und empathische Zuhörerin und nahm sich für den Austausch lange Zeit. Unser Direktor nutzte die Chance und bat die Ministerin, die Förderungen auch in Zukunft zu valorisieren, damit wir auch weiterhin helfen können. Denn: Je früher Menschen Hilfe zur Krisenbewältigung bekommen, desto besser.